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Matthias Morgenstern:
Kirchenasyl international
Daß sakrale Bauten im ausgehenden 20. Jahrhundert als Schutzräume für Menschen in Not wiederentdeckt wurden, ist weder ausschließlich ein deutsches noch ein spezifisch europäisches Phänomen. Weltweit haben in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder Menschen Zuflucht in Kirchen und anderen religiösen Gebäuden gesucht.

Das - angesichts seines symbolträchtigen historischen Ortes - wohl markanteste Beispiel ist hierfür das Geschehen in der Geburtskirche Jesu in Bethlehem im Frühjahr 2002. In den Wirren des Einmarsches der israelischen Armee auf palästinensischem Gebiet fanden rund zweihundert, teils sogar bewaffnete Personen, Zuflucht im Gotteshaus. Obwohl man diesen Konflikt ansonsten mit unerbittlicher militärischer Härte führte, wurde die Schutzfunktion des sakralen Ortes weitgehend respektiert.

Auch im Konflikt um die Apartheid in Südafrika fanden Oppositionelle immer wieder Schutz bei der Kirche. Ebenso versteckten Pfarrer beim Rechtsputsch in Chile 1973 Kritiker des neuen Regimes in Kirchen. Hierbei wurde jeweils Bürgern des eigenen Landes Schutz gewährt. Im Unterschied dazu handelt es sich beim aktuellen Kirchenasyl in den Industrienationen um den Schutz von Ausländern vor Abschiebung in ihre Heimat.

Die Kirchenasylbewegung in Europa ist maßgeblich vom Sanctuary-Movement in den USA inspiriert. Diese Bewegung entstand zu Beginn der 1980er Jahre, als wegen bürgerkriegsähnlicher Zustände in Zentralamerika Hunderttausende über Mexiko in die USA flohen, die amerikanischen Einwanderungsbehörden aber deren Anträge zu 98 Prozent ablehnten. Amerikanische Kirchen begannen damals, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Mitte der achtziger Jahre waren bereits 300 Kirchen dazu bereit.

Wesentlicher Identifikationsfaktor der Kirchenasylbewegung innerhalb Europas sind die Aktivitäten in den Niederlanden. Ursache hierfür sind - neben der hohen gesellschaftlichen Akzeptanz, die Kirchenasyl in Holland genießt - Bemühungen um eine überregionale Koordination. Das zentrale Dokument der europäischen Kirchenasylbewegung, die "Charta von Groningen", wurde in der gleichnamigen niederländischen Stadt 1987 unterzeichnet. Sie ist das Ergebnis eines Treffens von in der Asylbewegung aktiven Kirchengemeinden aus zahlreichen europäischen Ländern. Diese erklärten sich darin bereit, Flüchtlinge, denen Abschiebung droht, "aufzunehmen und zu schützen".

Kirchenasyl in der Schweiz setzte für den deutschsprachigen Raum insofern Akzente, als es einen maßgeblichen Beitrag für die grundlegende rechtliche Einordnung wie die innerkirchliche Diskussion lieferte. In der Eidgenossenschaft existiert Sakralschutz - wie im übrigen Europa - heute als öffentlich bekanntes Kirchenasyl. Eine Besonderheit sind allerdings dessen Wurzeln: organisiertes geheimes Privatasyl im Sinne von Verstecken von Flüchtlingen, wie es vor allem die "Aktion für abgewiesene Asylbewerber" (AAA) praktiziert.

In Österreich kam es vor allem Mitte der neunziger Jahre zu vereinzelten Fällen von Kirchenasyl. Eine starke Kirchenasylbewegung zum Schutz vor Abschiebung existiert in Österreich nicht. Vielmehr steht häufig der Schutz vor Obdachlosigkeit von Flüchtlingen im Vordergrund.

Auch in England führt die restriktive Ausländerpolitik in regelmäßigen Abständen zu Kirchenasylen. Neben Gemeinden der anglikanischen Staatskirche beteiligen sich daran auch zahlreiche andere Konfessionen. Die Idee des Kirchenasyls ist auf der Insel historisch tief verwurzelt: Die Legende um den ersten christlichen Märtyrer Englands, St. Alban, ist eng mit der Asylgewährung für einen verfolgten Glaubensbruder verknüpft.

Ebenso kam es in den meisten skandinavischen Staaten wiederholt zu Kirchenasyl, vor allem in Norwegen. 1993 wurde das Land geradezu von einer Welle von Kirchenasyl erfaßt: 700 überwiegend kosovoalbanische Asylbewerber lebten damals in 140 Kirchen und Bethäusern. In Schweden befinden sich in der Regel einige Dutzend Asylbewerber in Kirchen. Die geringste Anzahl von Kirchenasylfällen innerhalb Skandinaviens ist in Dänemark zu verzeichnen, wo Sakralschutz aus theologischen Erwägungen heraus schon innerhalb der Kirche wenig Rückhalt besitzt.

Stärker als im übrigen Europa hat Kirchenasyl in den romanischen Ländern den Charakter einer Protestaktion gegen die herrschende Ausländerpolitik. 1996 sorgte ein Vorfall in Frankreich weltweit für Aufsehen: Die Polizei räumte die Pariser Kirche Saint-Bernhard, in der sich 300 Afrikaner aufhielten. In Spanien kam es Anfang des Jahres 2001 zu einer Welle von Kirchenbesetzungen. Allein im Februar hatten sich fast tausend Ausländer in verschiedenen Regionen des Landes in Kirchen verbarrikadiert.

Ende der neunziger Jahre ereigneten sich auch in Belgien eine Reihe von Kirchenbesetzungen. In Italien lassen sich bislang nur Einzelfälle von Kirchenasyl nachweisen. Im Vordergrund steht dort der Schutz gegen Obdachlosigkeit.

In Mittel- und Osteuropa sowie Südosteuropa existiert bislang keine Kirchenasylbewegung im westeuropäischen Sinne. Lediglich in der Ausnahmesituation des Jugoslawienkonflikts kam es zur Schutzsuche in einigen orthodoxen Klöstern. Grundsätzlich erscheint es allerdings durchaus möglich, daß unter veränderten Rahmenbedingungen - insbesondere einer restriktiveren Asyl- und Ausländerpolitik - das moderne Kirchenasyl auch in Osteuropa eine größere Bedeutung erlangen könnte.
Alle Informationen zum Kirchenasyl auf dieser Homepage
Matthias Morgenstern: Kirchenasyl in der Bundesrepublik Deutschland  
Historische Entwicklung - Aktuelle Situation - Internationaler Vergleich.  
Reihe "Politik und Religion", Westdeutscher Verlag (Verlag für Sozialwissenschaften)  
Wiesbaden 2003. - ISBN 978-3-531-14067-4  
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